Seit zweieinhalb Jahren lebt Flavia Tschanz mit ihrer Familie in Kenia. In ihrem Goldschmiedeatelier in der Zürcher Altstadt steht seither ihre Mitarbeiterin Nicole Braun an der Front. Die beiden sind täglich in Kontakt, Flavia Tschanz zieht die Fäden im Hintergrund und nutzt die Zeit in Afrika, um möglichst viel über edle Steine zu erfahren und zuverlässige Lieferanten von Diamanten und Farbsteinen kennenzulernen.
„Jetzt habe ich einen Ring mit einem Diamanten aus Botswana gefertigt, von dem ich genau weiss, aus welcher Mine er kommt und unter welchen Umständen er abgebaut und geschliffen worden ist“, erzählt Flavia Tschanz voller Freude. „Diese Umstände machen ihn klar zu meinem neuen Lieblingsstück.“ Den Diamanten hat die Goldschmiedin kürzlich von einem Händler gekauft, der eine transparente Rückverfolgbarkeit gewährleistet. Doch mehr dazu weiter unten.
Die talentierte Goldschmiedin aus Zürich, konnte 2015 ein hübsches Atelier in der Altstadt übernehmen. Sie ist Mutter von zwei Mädchen, Noemi (10) und Chiara (8). Vor zweieinhalb Jahren erhielt ihr Mann Luca ein Stellenangebot an der Schweizer Botschaft in Nairobi, was die Familie dazu veranlasste, nach Kenia zu ziehen. Ihr Atelier in Zürich bleibt jedoch bestehen. Ihre Mitarbeiterin Nicole Braun kümmert sich um die Tagesgeschäfte und ist Geschäftsführerin vor Ort.
Hinaus in die Wildnis
In Nairobi geniesst die Familie das Leben mit allen Vor- und Nachteilen. In ihrer Freizeit zieht es die Vier oft mit dem Camper in die Wildnis. Sie haben gelernt, wie man sich verhält, um nicht durch allzu viel Nähe zu den Löwen und Co. in Bedrängnis zu geraten. Wann immer Flavia Tschanz eine Möglichkeit sieht, fährt sie zu Edelsteinminen. Besonders interessiert sie sich dabei auch für die Rolle der Frauen. Die Leidenschaft für Farb- und Edelsteine ist für sie nichts Neues, aber jetzt, wo sie auf einem „Edelstein-Kontinent“ lebt, ist das Feuer noch grösser geworden.
Zum Schmuckherstellen kommt sie nicht oft: „aber ich will in den verbleibenden zwei bis drei Jahren hier in Kenia die Zeit nutzen, um noch möglichst viel über Edelsteine und die Menschen in ihrem Umfeld zu erfahren“, sagt sie. Ihr Ziel ist es, nach der Rückkehr nach Zürich nur noch mit Steinen zu arbeiten, deren Herkunft und Verarbeitungsprozesse sie kennt. So möchte sie sicherstellen, dass ihre Kunstwerke nicht nur schön, sondern auch ethisch und nachhaltig sind.
Reichtum durch Diamanten
Zurück zu ihrer Reise nach Botswana, die sie mit einem Schweizer Kollegen unternommen hat, der als Journalist über die dortigen Wahlen Ende Oktober berichtete. Das Land hat die Grösse von Frankreich und bloss zweieinhalb Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Ein Jahr nach seiner Unabhängigkeit, die es 1966 erreicht hat, wurden die Diamanten entdeckt. Nicht zuletzt dank weniger Korruption als in anderen afrikanischen Ländern wurde der Staat reich und ein grosser Teil der Bevölkerung kann in vielerlei Hinsicht davon profitieren. Doch weil die Diamantenindustrie in den vergangenen Monaten ins Stocken geraten ist und momentan viele Arbeitsstellen blockiert sind, wurde Präsident Mokgweetsi Masisi abgewählt.
Es wurde ihm vorgeworfen, er habe entgegen seinen Versprechen, mehr Schleifereien zu lancieren und die Leute darin auszubilden, sowie weitere Wirtschafts- und Industriezweige anzukurbeln, zu wenig gegen die grosse Abhängigkeit von der Diamantenindustrie unternommen. Der neue Staatschef heisst Duma Gideon Boko. Der 54-jährige Menschenrechtsanwalt hat an der amerikanischen Elite-Universität Harvard studiert und macht sich für mehr Arbeitsplätze, einen höheren Mindestlohn und eine Rentenerhöhung stark.
Stolze Mineure
„Ich habe viel Gutes von Botswana gehört, insbesondere über den verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. Deshalb wollte ich unbedingt dorthin“, sagt Flavia Tschanz. Nach längerem Hin und Her durften sie und ihr Kollege schliesslich in die Minenstadt Letlhakane zur Orapa-Mine fahren. Der Eindruck, den Flavia Tschanz von der weltweit grössten Diamantmine im Tagebau bekommen hat, war überwältigend.
Sie konnte sich mit den Mineuren und Mineurinnen austauschen. „Die Leute sind stolz in der Mine zu arbeiten“, sagt sie. „Für Mütter gibt es dort sogar einen Kinderhort.“ Orapa wurde 1971 eröffnet und ist bekannt für ihre hohen Produktionszahlen und die Qualität der geförderten Diamanten. Die Mine wird von Debswana, einem Joint Venture zwischen der De Beers Group und der Regierung von Botswana, betrieben. Die Einnahmen aus der Diamantenproduktion fliessen auch in soziale Programme, Bildung und Gesundheitsversorgung, was zur Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung beiträgt. „Der Diamant, den ich zuvor dem Händler abgekauft habe, kommt genau aus dieser Mine, was ihn für mich zu etwas noch Wertvollerem macht“, sagt die 42-Jährige.
Grosse Bereicherung
Die Familie von Flavia Tschanz ist glücklich in Kenia, auch wenn der Strom manchmal stundenlang ausfällt, Busse gefährlich und unzuverlässig sind oder ohne Vorwarnung immer wieder Abfallhaufen auf der Strasse verbrannt werden. „An einige Dinge mussten wir uns erst gewöhnen. Am Anfang habe ich Vieles aus der Schweiz vermisst“, sagt die Goldschmiedin. Heute wisse sie, dass der Zwischenstopp Afrika eine grosse Bereicherung darstelle. „Besonders auch unsere Kinder bekommen dadurch einen weiten Horizont und werden dem Fremden gegenüber auch künftig weniger Berührungsängste haben. Im besten Fall werden sie grosszügiger und toleranter durchs Leben gehen, als wenn sie das alles nicht erlebt hätten“, sagt sie.
Das Einzige, was sie manchmal vermisse, seien die persönlichen Kontakte zu den Kunden und das gute Wasser, das in Zürich aus den Hähnen und sogar aus jedem Brunnen fliesse. Trotzdem freut sie sich auf die Abenteuer während der verbleibenden Zeit, aber auch auf den Moment der Rückkehr mit unzähligen wertvollen Erinnerungen im Rucksack – und ihrem Diamantring aus Botswana, made in Kenia.
Daniela Bellandi