Es wird oft angenommen, dass Frauen erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Uhrenindustrie tätig sind. Das ist falsch: Frauen spielen seit über 300 Jahren eine wichtige Rolle in der Uhrenindustrie.
Ein kürzlich in der Zeitung New York Times erschienener Artikel mit dem Titel „Just Try to Find Women in Horology History“ befasste sich mit der vermeintlich geringen Rolle, die Frauen in der Geschichte der Uhrenindustrie in den letzten eineinhalb Jahrhunderten spielten. Die Autorin beklagte insbesondere auch den Mangel an von Frauen signierten Uhren in den Sammlungen der Schweizer Museen sowie das generelle Fehlen von Hinweisen auf ihre Arbeit.
Zu Recht wurde im Artikel zwar darauf hingewiesen, dass auch Frauen in der Uhrenwelt einen wichtigen Platz einnahmen und einnehmen, nicht nur als Kundinnen. Gleichzeitig wurde dabei aber ein generelles Phänomen beschrieben, das längst nicht nur die Uhrenindustrie betrifft: Da die Geschichte der Wissenschaft und Technik hauptsächlich von Männern geschrieben wurde, neigte man lange dazu, aussergewöhnliche männliche Persönlichkeiten und ihre Genialität zu verherrlichen. Insofern funktioniert auch das Uhrenmarketing der historischen Marken weitgehend nach solch etablierten Mustern.
Auf der Grundlage einer weit verbreiteten Meinung behauptete die New York Times – und die von der Journalistin interviewten Museumsleiter unterstützten diese Behauptung –, dass Frauen erst seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aktiv an der Uhrenproduktion beteiligt waren und dass sie in den Hintergrund gedrängt hauptsächlich als Arbeiterinnen eine Rolle einnahmen. Wer sich mit dem Zeitalter der Aufklärung befasst, weiss jedoch, dass dies eine anachronistisch etwas verkürzte Darstellung ist: Denn die Geschichte der Uhrmacherei hat uns längst gelehrt, dass Frauen mindestens seit dem 18. Jahrhundert einen wichtigen Part spielten.
Frauen in der Uhrenfertigung
Bereits ein Blick auf statistische Zahlen belegt diese Meinung. Laut der New York Times waren Ende des 19. Jahrhunderts nicht weniger als ein Drittel der Schweizer Beschäftigten in der Branche weiblich. Doch schon für das Ende des 18. Jahrhunderts sind ähnliche Zahlenverhältnisse für die Genfer Uhrenbranche greifbar. Dies ist nicht überraschend. Zur Zeit der Französischen Revolution erlebten die Genfer Ateliers ihre grösste Ausdehnung und exportierten mehr als 60‘000 Stück pro Jahr: folglich war rund die Hälfte der berufstätigen Bevölkerung der Calvinstadt mit der Uhrenindustrie verbunden.
Welche Art von Arbeit wurde dabei weiblichen Arbeitskräften in einer Industrie mit hoher Arbeitsteilung zugewiesen? Traditionell gehörte die Herstellung von Ketten zu den Kernaufgaben. In dieser Funktion traten sie 1690 der Genfer Uhrmacherzunft bei. Die Arbeiterinnen wurden jedoch auch in anderen Berufen ausgebildet. Der Artikel „Horlogerie“ in der „Encyclopédie“ von Diderot und dʼAlembert, der auf die Feder von Ferdinand Berthoud zurückgeht, listet sie auf: Frauen sind Räderspalterinnen, Vergolderinnen, Poliererinnen und Spiralenmacherinnen. In der Juraregion stellten sie besonders Steigräder und Zahnräder her und gravierten Kloben, noch bevor ihre Genfer Kolleginnen in den 1780er Jahren die Meisterschaft als Gehäusemonteurin und Graveurin erlangten.
Ausserhalb des Zunftsystems war die Ausbildung, die sie üblicherweise erhielten, eingeschränkt. Die Ausbildung dauerte maximal 24 Monate. Ausserdem fand sie eher „on the job“ oder in der Werkstatt der Familie statt, was erklärt, warum nur wenige weibliche Lehrverträge überliefert sind. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts gibt es in La Chaux-de-Fonds Zeugnisse von Frauen, die eine Lehre absolvierten und eine vollständige Ausbildung zur Uhrmacherin erhielten.
Die Geschäftsfrauen
Da sie rechtlich gesehen ihren Eltern oder ihrem Ehemann unterstellt waren, emanzipierten sie sich als „Geschäftsfrauen“, wenn ihr Mann starb. Der Witwenstatus verlieh ihnen Rechte und ermöglichten ihnen vor allem, die Werkstatt oder die Fabrik ihres verstorbenen Mannes offiziell zu leiten, da viele Frauen als Assistentinnen, Sekretärinnen oder Buchhalterinnen ihres Mannes in die Unternehmensführung eingebunden waren. Leider scheint es in der Uhrenindustrie kein vergleichbares Beispiel zu geben, wie das der Genferin Elisabeth Baulacre die im 17. Jahrhundert als erfolgreiche Unternehmerin ein Imperium in der Vergolderbranche aufbaute. Wir wissen jedoch, dass Witwen von Schweizer Uhrmachern erfolgreich das Zepter in die Hand nahmen. Dies ist der Fall von Frau Viala, die ab 1774 über mehrere Jahrzehnte hinweg die Uhrenmanufaktur leitete, die ihr Genfer Ehemann Jean Viala mit Partnern in Pforzheim aufgebaut hatte. Sie heiratete erneut und nahm den Namen Hoffmann an, stellte aber weiterhin Uhren her und verkaufte sie.
Verlassen wir zum Schluss die Schweizer Grenzen und begeben uns nach Paris, um die Frau eines der berühmtesten Uhrmacher seiner Zeit, Jean-André Lepaute, kennenzulernen. Ihr Name ist Nicole Reine Lepaute, gesegnet mit einem Talent für Mathematik: Sie arbeitete als Rechnerin mit dem Astronomen der Pariser Akademie der Wissenschaften, Jérôme Lalande, bei der Untersuchung des Vorbeiflugs des Halleyschen Kometen zusammen und war für zahlreiche astronomische und nautische Ephemeriden verantwortlich. Sie war beispielsweise diejenige, die die Pendelschwingungstabellen berechnete, die im ‹Traité d’horlogerie› (1755) ihres Mannes vorgestellt sind. Sie war auch für die gesamte redaktionelle Arbeit an diesem Werk verantwortlich. Einige Jahre später wurde sie die erste weibliche Akademikerin Frankreichs.
Natürlich stellen Persönlichkeiten wie Nicole Lepaute oder Madame Viala Ausnahmen dar. Die Spuren „weiblicher“ Uhrmacherpraktiken zu finden, bleibt für die Zeit der Aufklärung kompliziert. In den letzten Jahren hat die Forschung jedoch viel investiert, um die Stellung der Frauen im Handwerk des 18. Jahrhunderts besser zu verstehen und historisch einzuordnen.
Rossella Baldi