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Unabhängigkeit vom Unternehmer

Viele inhabergeführte Unternehmen – insbesondere im hochwertigen Einzelhandel wie der Juwelierbranche – leben von starken, persönlichen Kundenbeziehungen. Diese Nähe ist ein Erfolgsfaktor, kann aber auch zur Falle werden.

Eine enge Kundenbeziehung schafft Vertrauen, Bindung und sorgt für Weiterempfehlungen. Doch was passiert, wenn das Geschäft zu sehr an eine einzige Person, meist den Inhaber oder die Inhaberin, gebunden ist und diese sich zurückziehen möchte? Oder wenn das Unternehmen verkauft werden soll? Die Antwort ist oft ernüchternd: Ohne die vertraute Person verliert der Kunde das Vertrauen – und das Unternehmen seinen Wert. Für potenzielle Käufer ist es riskant, wenn das Unternehmen stark von einer Person abhängt.

Wenn der Inhaber alles selbst machen muss, von Beratung über Verkauf bis hin zur Nachbetreuung, bleibt ihm keine Zeit für strategisches Arbeiten und das Wachstum des Unternehmens wird blockiert – und wenn alle wichtigen Entscheide und Kontakte über eine Person laufen, fühlen sich die Mitarbeiter unterfordert oder gar ausgeschlossen und die Mitarbeiterbindung leidet. Damit das nicht passiert, sollte frühzeitig daran gearbeitet werden, Kundenbeziehungen systematisch an das Unternehmen zu übergeben und nicht auf einzelne Personen zu stützen. Dabei bleibt die persönliche Note erhalten, sie wird nur neu verankert.

Kundenbeziehungen dokumentieren

Der erste Schritt ist einfach – und wird doch oft vernachlässigt: Die wichtigsten Informationen zu bestehenden Kunden sollten zentral erfasst und gepflegt werden. Dazu gehören Kontaktdaten und Kaufhistorie, die persönlichen Vorlieben (Stil, Lieblingssteine, Anlasskäufe), wichtige Daten (Geburtstage, Hochzeitstage, Jubiläen) und Gesprächsnotizen oder Hinweise aus der letzten Beratung.

Ein einfaches Customer Relationship Management System (CRM) wie Pipedrive, Zoho CRM oder KundenMeister hilft, diese Informationen zu speichern und strukturiert zugänglich zu machen. Auch mit einem gut gepflegten Excel-Dokument kann der Einstieg gelingen. Wichtig ist, dass alle im Team Zugang haben zu diesen Informationen.

Beispiel: Frau Ramseier hat 2022 einen Smaragdanhänger gekauft. Im System ist vermerkt, dass sie „Grün“ liebt und im März Geburtstag hat. Ihr Mann kommt jeweils vorbei und bezahlt ihre Einkäufe. Ein automatisierter Hinweis erinnert das Team, ihr oder ihrem Lebenspartner rechtzeitig eine passende Geschenkidee zu senden – auch wenn der Inhaber im Urlaub ist.

Kontakte über das Team laufen lassen

Wenn alle Kunden ausschliesslich mit dem Inhaber sprechen, wird jede Abwesenheit zum Risiko. Das Ziel ist, dass Kunden Vertrauen zum Unternehmen aufbauen – nicht nur zu einer Person. Oft ist es auch so, dass der Unternehmer oder die Inhaberin derart viel um die Ohren hat, dass der Auftrag nur schleppend abgewickelt wird. Der Einbezug von Fachberatungspersonen und die Übertragung der Auftragsabwicklung für die Unternehmerin stärkt beide.

Dies gelingt, wenn beim Beratungsgespräch ein zweites Teammitglied anwesend ist und die Kunden gezielt und begleitet an die Mitarbeitenden übergeben werden. Mit Visitenkarten, E-Mails und im Gespräch kann das ganze Team sichtbar gemacht werden, zudem können Verantwortlichkeiten durch Aussagen wie „Unsere Expertin für Trauringe ist Frau Schnüriger“ geschaffen werden.

Beispiel: Der Inhaber begrüsst den Kunden persönlich, übergibt dann aber die Beratung an seine Kollegin. „Frau Schnüriger berät Sie bei unseren Trauringen – sie hat ein grossartiges Gespür für Details.“ So entsteht Bindung zur Marke, nicht nur zur Person des Inhabers oder der Unternehmerin.

Einheitliches Kundenerlebnis schaffen

Kunden kommen wegen Qualität, Vertrauen und Atmosphäre. Damit das auch ohne den Inhaber funktioniert, sollte das Erlebnis im Geschäft klar strukturiert sein. Dazu gehören die einheitliche Begrüssung und Gesprächsführung, klare Prozesse von der Beratung bis zur Nachverfolgung, ein einheitliches Wording in der Kommunikation sowie wiedererkennbare Rituale wie Champagner bei der Trauringberatung oder ähnliches.

Beispiel: Jeder Kunde wird mit dem gleichen Satz begrüsst: „Willkommen bei Juwelier Marthaler – schön, dass Sie da sind.“ Egal ob Inhaber oder Mitarbeitende – der Service wirkt professionell, vertraut und einheitlich.

Erlebnisse digital unterstützen

Persönlichkeit lässt sich auch digital transportieren – und zwar auf systematisierte Weise. Das Ziel ist, möglichst vieles zu automatisieren, ohne dass der Kunde etwas von der Technik mitbekommt. Dazu gehören unter anderem die automatische Terminerinnerung per E-Mail oder SMS, persönliche Dankes-E-Mails nach einem Kauf, digitale Geburtstagsgrüsse mit exklusiven Angeboten, Kunden-Newsletter mit hochwertigen Inhalten und Empfehlungen oder auch personalisierte Videobotschaften per Kurznachrichtendienst.

Beispiel: Ein Kunde kauft eine Uhr. Am nächsten Tag erhält er eine automatisch versendete E-Mail mit Pflegetipps und einer Einladung zur kostenlosen Erstwartung nach zehn Monaten – versendet im Namen der zuständigen Beratungsperson, nicht nur der Inhaberin.

Bindung als Teil der Unternehmenskultur

Kundenbindung darf nicht „Zufall“ sein. Sie erfolgt systematisch als selbstverständlicher Teil der täglichen Arbeitsweise des gesamten Teams. Um immer einen Schritt voraus zu sein, muss die Welt nicht neu erfunden werden. Vielmehr gilt es das, was man sowieso schon tut, richtig umzusetzen. Die Kundenpflege soll als fester Bestandteil im Team-Alltag etabliert werden, zudem können wöchentliche kurze Team-Meetings zur Planung von Nachfassaktionen durchgeführt und Feedbacks gesammelt werden, nicht nur vom Kunden, sondern auch vom Team. Schliesslich dürfen gute Kundenbeziehungen gemeinsam analysiert und auch gefeiert werden.

Der persönliche Kontakt bleibt auch in Zukunft ein wichtiger Teil des Erfolgsmodells im Juweliergeschäft. Doch er muss auf das Unternehmen übertragen werden. Wer es schafft, Kundenbeziehungen Schritt für Schritt vom Inhaber zu lösen, gewinnt dreifach: Mehr Freiheit für strategische Arbeit oder den geplanten Rückzug, mehr Stabilität im Unternehmen – auch bei Krankheit oder Abwesenheit, mehr Wert im Fall eines Verkaufs oder einer Nachfolgeregelung.

Die Kunst liegt nicht darin, weniger persönlich zu werden. Sondern darin, Persönlichkeit in ein System zu bringen – damit jeder Kunde spürt: „Hier werde ich gesehen – egal, wer mich gerade bedient.“

David Gygax

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