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Uhrenfälschungen nach Genfer Art

Der in Paris zu Ende gegangene Prozess wegen Uhrenfälschung gegen die Plattform „La Genèverie“ lädt ein, auf ein wenig bekanntes Kapitel der Schweizer Uhrengeschichte zurückzublicken.

In den Monaten März und April dieses Jahres befasste sich das Pariser Gericht mit dem grössten Fall von Uhrenfälschung, der jemals in Frankreich verhandelt wurde. Der Hauptangeklagte, Julien V., wurde zu einer Geldstrafe in Höhe von 206 Millionen Euro sowie zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Der in Thailand ansässige Angeklagte liess zwischen 2019 und 2022 in China Tausende Kopien von Luxusuhren herstellen, einige 9000 bis 12’000 Stück nach Berechnungen der Ermittler. Die Uhren wurden über „La Genèverie“ verkauft, einem verschlüsselten Kanal, der über Telegram und Snapchat zugänglich war.

Die Plattform „La Genèverie“ bot mehrere Produktlinien an, darunter hauptsächlich gefälschte Rolex, aber auch Patek Philippe, Cartier oder Boucheron: Die Plattform bot sorgfältig hergestellte Repliken, Doubletten – das heisst Fälschungen mit echten Seriennummern – oder auch Zusammenstellungen von echten Stücken an. Der Schweizerische Uhrenverband FH, der das Urteil des Pariser Gerichts begrüsste schätzte, dass dieser Markt den Schweizer Marken einen Schaden von über 360 Millionen Euro zugefügt hat.

Eine mit „Lepaute au Luxembourgs“ signierte Uhr, Mitte 18. Jahrhundert.

Die Schweiz, im 18. Jahrhundert eine Hochburg der Uhrenfälscher

Obwohl in den Büchern über die Geschichte der Uhrmacherei nur wenig darüber zu lesen ist, war das Fälschen von Uhren in den Schweizer Uhrmacherzentren einst weit verbreitet. Vor allem im 18. Jahrhundert war das illegale Kopieren von „französischen“ und „englischen“ Uhren ein äussert lukratives Geschäft. Hätte ein Prozess gegen „La Genèverie“ im Zeitalter der Aufklärung stattgefunden, wären die Rollen zwischen Geschädigten und Klägern zweifellos vertauscht gewesen. Auf der Anklagebank wären Genfer Uhrmacher und Händler und vielleicht auch einige Komplizen aus Neuenburg und Frankreich erschienen. Auf der Seite der Kläger hätten sich die Mitglieder der Pariser Uhrenelite vereint. Julien Leroy, Jean-Antoine Lepaute, der Neuenburger Ferdinand Berthoud oder auch Jean Romilly, ein Migrant mit Genfer Wurzeln, hätten lautstark die betrügerischen und unlauteren Vorgehensweisen ihrer Westschweizer Kollegen angeprangert.

Und wie hätte die Anklageschrift gelautet? Verschiedene Zeugnisse von Uhrmachern aus der damaligen Zeit geben uns darüber Auskunft. Lassen wir sie zu Wort kommen, angefangen bei Romilly, der mehrere Artikel in der Enzyklopädie von Diderot und d’Alembert verfasst hat. In einem Brief aus dem Jahr 1765 berichtet er dem Philosophen und Schriftsteller Jean-Jacques Rousseau – selbst Sohn und Enkel von Uhrmachern –, wie sich seine Genfer Landsleute skrupellos seinen Namen und seinen Erfolg aneignen, und damit die Gewinne und die Glaubwürdigkeit seines Ateliers gefährden.

Das Vorgehen ist simpel. Um von der steigenden Nachfrage nach Uhren im Königreich zu profitieren, signieren die Uhrmacher in der Stadt Calvins die minderwertigen Uhren, die sie in den Neuenburger Bergen herstellen oder für die sie die Uhrwerke beschaffen, mit ausländischen Namen. Selbst die Genfer Uhrmacher, die in der Werkstatt von Romilly nach „patriotischem Geist“ ausgebildet wurden, gehen auf ähnliche Weise vor. Die Täuschung bringt sie sogar dazu, in Paris Uhrengehäuse anfertigen zu lassen, die fälschlicherweise mit dem Namen Romilly graviert sind. Diese werden anschliessend mit minderwertigen Werken bestückt und ausserhalb von Paris verkauft, wobei die Kunden im Glauben gelassen werden, die Genfer hätten Romilly direkt mit den Kalibern beliefert. Der Uhrmacher meint dazu ironisch: „In Paris bezeichnet man das als Betrug eines Fälschers, in Genf ist es etwas ganz anderes.“

„Développement de la montre à Roue de rencontre“, Blatt aus:Ferdinand Berthoud, Essai sur l’horlogerie, Paris, 1763, vol. 1.
„Développement de la montre à Roue de rencontre“, Blatt aus: Ferdinand Berthoud, Essai sur l’horlogerie, Paris, 1763, vol. 1.

Die Bitte an den König

Eine Bittschrift, die Julien Leroy, eine wichtige Figur in der Pariser Uhrenbranche, in den 1750er Jahren an das Königshaus richtete, bestätigt die massive Präsenz von Genfer Fälschungen auf den französischen Märkten: „Die Genfer überschwemmen alle südlichen Provinzen des Königreichs mit ihren verwerflichen Uhren“, sagt er und bittet Ludwig XV. um ein Eingreifen. Von da an forderte er die Uhrmachermeister mit etabliertem Renommee dazu auf, mehr in Zeitschriften zu schreiben und zu publizieren, um der Kundschaft mitzuteilen, wie man Qualitätswerke erkennt. Lepaute und Berthoud folgten diesem Rat eifrig. Ihre illustrierten Bücher über das uhrmacherische Savoir-faire sind unter anderem eine Antwort auf die Angriffe der Genfer Uhrenindustrie auf die Reputation und die Legitimität der französischen Ateliers.

Leroy wetterte vor allem gegen ein bestimmtes Netzwerk von Genfer Händlern, insgesamt ein Dutzend, die das Geschäft mit illegalen Kopien in Paris monopolisierten und das Vertrauen der Käufer missbrauchten. Diese Händler setzten auf die Ästhetik der irreführenden Goldgehäuse; in Frankreich galt die Verpflichtung, Gold mit 22 Karat zu verarbeiten, während in Genf 18 Karat Gold verwendet wurde, das jedoch mit 22 Karat punziert wurde. In diese Schalen, die ihre Form leicht verloren, weil sie zu leicht waren, wurden mangelhafte Uhrwerke eingelegt. Um die Kontrollen zu täuschen und die Stücke schwerer zu machen, verwendeten die Genfer Kupfer und Pergament.

Nach Aussage des Uhrmachers wurden allein in der französischen Hauptstadt jährlich Hunderte dieser Uhren verkauft, die Tausende von Pfund Gewinn abwarfen. Leroy nennt insbesondere die Einkünfte einiger Händler, die den Familien Mussard oder Argand angehörten, die dem Bereich von 18’000 Pfund nahekamen. An der Spitze standen jedoch die Duvals – Louis und sein Sohn David –, die in acht Jahren 100’000 Pfund verdient haben sollen, während das durchschnittliche Gehalt eines Pariser Bürgers kaum 1000 Pfund pro Jahr betrug.

Die von Leroy und Romilly gelieferten Informationen würden heute ausreichen, um eine Untersuchung einzuleiten und einen Prozess zu führen, dessen Ausgang, das versteht sich von selbst, den Blick auf die meist makellose Schweizer Uhrmacherei trüben würde. Die Geschichte kann uns manchmal dabei helfen, unser Bewusstsein zu schärfen und die Perspektiven unseres Verständnisses der Gegenwart zu erweitern.

Rossella Baldi

Bild: Eine mit „Romilly A Paris“ signierte Uhr, Mitte des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich um eine echte Romilly-Uhr, V&A, London.

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