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Perlen aus Strausseneierschalen

In dem sich im Süden und Osten des afrikanischen Kontinents abspielenden Teil der Menschheitsgeschichte waren Perlen aus Strausseneierschalen schon vor Zehntausenden von Jahren beliebte Schmuckstücke. Das glänzend weisse Rohmaterial (Calciumcarbonat) ist leicht zu finden und zu bearbeiten.

Bei solchen Perlen, die aus gelochten Scheibchen bestehen, gibt es nur zwei von der Mode beeinflussbare Parameter: Aussendurchmesser und Lochdurchmesser. So entstehen eher ringförmige beziehungsweise plättchenförmige Schmuckperlen. Auf einer Schnur aufgereiht oder zusammengebunden, wurden Ketten aus Strausseneierperlen am Kopf, am Hals, an den Armen oder an der Hüfte getragen. Aufnähen auf die damals aus Fellen und Tierhäuten bestehende Kleidung war eine Alternative. Datieren lassen sich solche Perlen mit der Radiocarbonmethode (C-14) wenn sie nicht älter als 60’000 Jahre sind. Interessant ist, dass die Abmessungen und das Aussehen der Perlen in bestimmten Regionen zu bestimmten Zeiten während der afrikanischen Steinzeit erstaunlich homogen waren.

Es gab schon damals beim Schmuck ausgeprägte Modeströmungen, denen grossflächige soziale Systeme folgten. Die Ausdehnung solcher Netzwerke lässt sich auf der Basis der datierten Strausseneierperlen mit bestimmten Abmessungen zuverlässig bestimmen. Die Verbindungen von sozialen Subgruppen wurden allerdings durch natürliche Klimaschwankungen stark beeinflusst. Dies machte sich durch Driften der Perlenabmessungen innerhalb ausgedehnter früherer sozialer Netzwerke bemerkbar.

Vor 52’000 Jahren

Zu diesen Schlüssen kamen die Archäologinnen Jennifer M. Miller und Yinmin V. Wang vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena (Deutschland) und der University of Alberta in Edmonton (Kanada). Sie untersuchten insgesamt 1516 Schmuckperlen aus Strausseneierschalen. Erfunden wurden diese Perlen anscheinend vor 52’000 Jahren in Ostafrika. Rund 10’000 Jahre später erschienen sie im 3000 Kilometer entfernten Südafrika. Dieser Transfer setzte ein lockeres System sozialer Beziehungen voraus, das vor 33’000 Jahren abbrach.

Zeitlich stimmt dies grob mit einer südwärts gerichteten Verschiebung der innertropischen Konvergenzzone überein; sie führte zu einer starken Zunahme der Niederschläge im Quellgebiet des Sambesi-Flusses und periodischen Überschwemmungen im unteren Flusslauf. Dadurch entstanden neue natürliche Grenzen, die das bestehende soziale Netzwerk zwischen Ost- und Südafrika fragmentierten. Dies blieb nicht ohne Einfluss auf die genetische und kulturelle Vielfalt der Menschen.

Klimatische Einflüsse

Man muss sich die menschliche Bevölkerung in der afrikanischen Steinzeit als „Patchwork“ grösserer Gruppen vorstellen, die im Lauf der Jahrtausende mehr oder weniger lange wechselwirkten, sich dabei kulturell homogenisierten aber auch wieder trennten und voneinander wegdrifteten. Dabei waren vor allem Umweltfaktoren wie das Klima und seine biologischen Auswirkungen massgebend. Bei der Aufklärung dieser Wechselwirkungen spielt die DNA-Analyse menschlicher Überreste wie Zähne und Knochen eine entscheidende Rolle. Sie zeigte unter anderem, dass vor etwa 57’000 Jahren eine umfassende soziale Reorganisation der damals rasch wachsenden afrikanischen Bevölkerung begann. Dies war von zahlreichen technischen Innovationen begleitet, darunter wie bereits erwähnt, die Herstellung von Schmuckperlen aus Strausseneierschalen.

Solche Perlen konnten mit einfachen Holzwerkzeugen und feinem Sand als Schneidemittel hergestellt werden und dienten lediglich zum Schmücken und Repräsentieren. Hübsche Steine und Muscheln genügten nun nicht mehr. Die Perlen aus Eierschalen bedingten zielgerichtete Arbeit und nicht nur blosses Sammeln. Modebedingte Vorlieben breiteten sich unter Nachbarn schnell aus, weit entfernte Gruppen übernahmen zwar die Technologie, sobald sie davon gehört hatten, entwickelten aber eigene Standards, mit denen ihr kultureller Einflussbereich definiert wurde. Der Nachahmungstrieb als Voraussetzung des Lernens war schon damals stark entwickelt. Aufgrund der Abmessungen von C-14-datierten Schmuckperlen aus Strausseneierschalen lassen sich demnach Wechselwirkungen von sozialen Gruppen und ihre spezifischen Merkmale selbst nach Zehntausenden von Jahren rekonstruieren.

Perforierte Plättchen

In Ostafrika blieben Aussendurchmesser und Apertur Durchmesser der Schmuckperlen aus Strausseneierschalen während Zehntausenden von Jahren weitgehend konstant bei 6,9 ± 1,2 Millimeter beziehungsweise 2,6 ± 0,6 Millimeter. Bei den Perlen aus Südafrika andererseits veränderten sich die Abmessungen im Lauf der Zeit stark. Während sie in der Frühzeit annähernd gleich gross waren wie die ostafrikanischen Muster, wurden sie daraufhin immer kleiner und verschwanden sogar zwischen 33’000 und 19’000 Jahren vor heute fast vollständig. Sie erschienen aber nach Ablauf dieser Zeit aufs Neue in grösseren Mengen. Ihre Abmessungen lagen nun im Bereich von 4,5 ± 0,9 Millimeter beziehungsweise 1,8 ± 1,4 Millimeter. Dies setzte besonders präzises und sorgfältiges Arbeiten voraus.

Die ursprünglich nahezu identischen Abmessungen der ost- beziehungsweise südafrikanischen Perlen sind ein Indiz für kulturelle Kontakte zwischen zwei grossen sozialen Netzwerken innerhalb denen der Technologietransfer anscheinend reibungslos, wenn auch mobilitätsbedingt langsam funktionierte. Dieses Netzwerk brach vor 33’000 bis 19’000 Jahren zusammen, vermutlich aus klimatischen Gründen. Regenreichere wie auch trockenere Bedingungen veränderten Flora und Fauna, was die Menschen zu einer umfassenden Anpassung ihrer Jagdwaffen und -strategien zwang. Schmuck wurde zum Luxus, den man sich kaum mehr leisten konnte. Auch die Bevölkerungsdichte wurde unter den sich rasch verändernden klimatischen Bedingungen stark reduziert. Das Klima normalisierten sich etwa vor 19’000 Jahren, was auch zum Wiedererscheinen der Strausseneierschalenperlen in Südafrika führte. Allerdings in deutlich kleineren Ausführungen als in Ostafrika, ein Indiz für die nunmehr herrschende kulturelle Isolation der beiden Gebiete.

Quelle: J.M. Miller, Y.V. Wang, Nature 601, 234 (2022)

Lucien F. Trueb