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„Je breiter eine Messe, desto spannender“

Michel Loris-Melikoff, seit 2018 Geschäftsführer der Baselworld, spricht im Interview über die Transformation der Messe und über das neue Konzept, das voraussichtlich im Juni präsentiert wird.

Gold’Or: Michel Loris-Melikoff, Sie haben Anfang Mai die Austragung der Messe für den Januar abgesagt, wird der Name „Baselworld“ verschwinden?

Michel Loris-Melikoff: Ja, der Name wird verschwinden. Es ist jetzt wichtig, einen Neuanfang zu machen, der sich auch im Namen ausdrückt. Die Namensfrage hatten wir im Übrigen schon 2018 diskutiert, als ich die Stelle antrat. Damals entschieden wir, zunächst die Transformation durchzuführen und dann das „Branding“ der Messe anzugehen. Weil die Transformation nun an Tempo gewinnen muss, ist klar, dass die neue Plattform einen neuen Namen bekommt.

Wann soll die Konzeptphase abgeschlossen sein?

Aktuell führen wir Einzelinterviews mit einer Auswahl von etwa 30 Personen, darunter Verbandspräsidenten und wichtige Kunden. In Deutschland sind wir beispielsweise mit dem Verband der Edelstein- und Diamantindustrie und dem Verband für Uhren und Schmuck in Kontakt, dann auch mit den Verbänden in Italien, sowie mit der CIBJO. Sobald diese qualitative Phase abgeschlossen ist, beginnen wir eine quantitative Befragung und kontaktieren alle 600 Kunden bezüglich des neuen Entwurfs. Damit sollten wir bis im Juni ein neues Konzept präsentieren können.

Inwieweit stehen sie mit der FHH in Genf in Kontakt?

Es ist jetzt wichtig, dass alle Akteure in der Schweiz miteinander sprechen. Noch dazu in einem kleinen Land wie dem unsrigen. Das war schon mein Kerngedanke, als ich 2018 mit Fabienne Lupo von der FHH Kontakt aufgenommen habe, um die Termine zu koordinieren. Wer mich kennt, weiss, dass ich jemand bin, der gerne verbindet und zusammenarbeitet. Wir müssen jetzt alle für die gesamte Industrie denken. Allein schon deshalb macht es Sinn, dass wir uns gegenseitig absprechen und nicht kannibalisieren. Auf beiden Seiten braucht es allerdings zunächst eine Vorbereitung desjenigen, was in den letzten Wochen beschlossen wurde. Sobald dies erfolgt ist, wird sich auch die Frage der Koordination stellen. Ich sehe keine Anzeichen, dass von Genfer Seite die Bereitschaft zur Koordinierung mit uns fehlen würde. Ich glaube, Fabienne Lupo und ich sind genügend pragmatisch, um nach vorne zu schauen und nach dem Besten für unsere Kunden und deren Industrien zu streben.

Warum glauben Sie an die neue Messe?

Ich bin überzeugt, und dies völlig losgelöst von der Baselworld oder anderen Events, dass die Industrie weiterhin solche Plattformen braucht, um sich zu begegnen. Es gibt keine effizienteren Anlässe, um innerhalb weniger Tage möglichst viele relevante Personen zu treffen, seien dies Händler, Journalisten, Sammler oder andere Brancheninteressierte. Daran hat sich nichts geändert. Aktuell wissen wir, dass sich die Luxusuhrenbranche nächstes Jahr in Genf treffen wird. Daneben braucht es aber auch eine Live-Bühne für alle anderen kleineren und mittleren Uhrenmarken sowie den Edelstein- und Schmuckbereich.

„Wir müssen jetzt alle für die gesamte Industrie denken.“

Steht bereits ein neuer Zeitpunkt fest?

Es macht wohl am meisten Sinn, wenn wir in der gleichen Zeitspanne stattfinden, wie die Genfer Messen. Die Industrie und die Händler wollen einmal pro Jahr in die Schweiz kommen und ein möglichst grosses und breites Angebot vorfinden. Es wird auch angesichts der aktuellen Coronakrise deutlich, dass die Menschen in der Zukunft weniger, aber dafür effizienter reisen. Auch deshalb ist es wichtig, dass wir uns koordinieren.

Haben Sie ein Minimum der Ausstellerzahl definiert?

Die Zahl allein sagt nicht viel. Es gibt Messen in der Branche mit 50 bis 100 Ausstellern, andere haben Tausende von Ausstellern. Viel entscheidender ist die Attraktivität des Angebots, etwa ob es genügend breit ist. Bereits jetzt lässt sich aber sagen, dass es wohl wenig Sinn macht, eine Messe für 50 bis 100 Aussteller durchzuführen, das müssen schon mehr sein.

Und den Standort?

Alle Standorte haben Vor- und Nachteile. Klar sind wir als Gruppe in Basel und Zürich zuhause, was Vorteile bezüglich der Raumkosten böte. Zunächst müssen wir uns in der jetzigen Phase aber voll auf das Konzept konzentrieren und erst im Folgeschritt beurteilen, an welchem Ort dieses am meisten Sinn macht. Ich kann heute weder ausschliessen noch bestätigen, dass es Basel, Lausanne oder Zürich ist, alle Standorte bieten viele Pluspunkte, haben aber auch Nachteile.

Wie wichtig sind bestehende Kooperationen wie jene mit der Luxury Venture Group oder mit Phillips?

Die bleiben wichtig. Heute erwartet der Messebesucher ein viel breiteres Angebot. Eine Luxusgüterindustrie wird nicht nur durch Brands repräsentiert, sondern auch durch viele weitere im Markt tätige Akteure. Die erwähnten Unternehmen besitzen spannende Produkte und Inhalte. Was sie 2020 gezeigt hätten, wäre auf grosses Interesse gestossen und hätte die Messe bereichert. Daher werden wir mit solchen Unternehmen auch künftig eine Kooperation anstreben, sofern sie zum neuen Konzept passen. Gleiches gilt auch für den Pre-owned-Bereich. Das ist ein riesengrosser Markt, mit Akteuren, die seriös arbeiten.

Wie international soll die neue Messe werden?

Die Baselworld war historisch gesehen eine Plattform für Schweizer Marken. Mit der Zeit wurden auch internationale Marken präsentiert, was der Vielfalt der Messe sehr guttat. Daran soll sich nichts ändern. Je breiter eine Messe, desto spannender für die Besucher und Marken. Das gleiche gilt auch für das Thema „Connected Watches“, für das 2020 eine Sonderschau vorbereitet wurde. An einer Messe soll das gezeigt werden, was den Markt interessiert.

Was würden Sie ändern, könnten Sie das Rad drei Monate zurückdrehen?

Ich stehe hinter dem, was gemacht wurde. Persönlich würde ich einzig die erste Kommunikation bezüglich des „Carry forward“ der Messegebühren besser erklären. Ansonsten hatte jeder Entscheid zu seinem Zeitpunkt seine Berechtigung. Auch wir als Messegesellschaft befinden uns in einer Notsituation. Die MCH Group muss die Corona-Situation bewältigen können. Die Messebranche wird als eine der letzten aus diesen Massnahmen entlassen werden. Wir können möglicherweise für das ganze 2020 keine Shows mehr durchführen und haben einen enormen Umsatzsaufall. Wir wären gerne grosszügiger gewesen, aber auch uns sind die Hände gebunden. Das hat nichts damit zu tun, dass wir nicht grosszügig sein wollten, sondern nicht grosszügig sein konnten.

War die erwähnte Kommunikation des „Carry forward“ der Auslöser für den Abgang?

Ich weiss es nicht. Wir waren alle, der gesamte Markt, Anfang April in einem Schockzustand und betroffen von der Gesamtsituation mit steigenden Todeszahlen und dem Stillstand der Wirtschaft. Es kann durchaus sein, dass eine Kommunikation wenige Wochen später anders gewürdigt worden wäre. Richtig ist, dass viele Firmen in dieser Situation Liquidität benötigen. Dass das von uns im Mai neu präsentierte Vergütungsmodell schon 48 Stunden später von einer grossen Zahl der Aussteller unterschrieben wurde, zeigt den hohen Liquiditätsbedarf. Es ist verständlich, dass das „Carry forward“-Modell Anfang April keine Zustimmung fand. Es war der falsche Zeitpunkt, um bereits Richtung 2021 zu blicken. Schon heute sähe das vielleicht anders aus, weil wir jetzt alle wissen, dass 2020 ein schreckliches Jahr wird und wir an dieser Situation alle noch lange nagen werden, dass das Leben aber weitergehen muss.

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