Wie am 6. Oktober mitgeteilt worden ist, geht der Nobelpreis für Physik 2020 zur Hälfte an den britischen Mathematiker und Physiker Roger Penrose. Die zweite Hälfte teilen sich die US-Amerikanerin Andrea Ghez und der Deutsche Reinhard Genzel, beide sind Astrophysiker.
Penrose entwickelte das mathematische Rüstzeug, um zu beweisen, dass die Existenz Schwarzer Löcher eindeutig aus Einsteins Relativitätstheorie hervorgeht. Ghez und Genzel untersuchten jahrzehntelang die Bewegung von Sternen, die sich in unmittelbarer Nähe des Zentrums der Milchstrasse befinden. Sie kamen unabhängig voneinander zum Schluss, dass sich dort ein supermassives Schwarzes Loch befinden muss.
Im vergangenen Jahr gelang es erstmals, den Schatten eines Schwarzen Lochs sichtbar zu machen; es befindet sich im Zentrum der Galaxie M87. Dazu wurde das sogenannte Event Horizon Telescope eingesetzt, ein von Europa bis Hawaii reichender Verbund der weltweit leistungsfähigsten Radioteleskope. Ihr grosser Abstand ermöglicht eine einzigartig hohe Winkelauflösung bei den im Umkreis von Schwarzen Löchern emittierten, sehr intensiven Millimeterwellen.
Theoretische Aspekte dunkler Sterne
Dank Roger Penrose, Andrea Ghez und Reinhard Genzel gibt es kaum noch Zweifel, dass Schwarze Löcher den Endzustand massereicher Sterne darstellen und in ihrer supermassiven Form das Zentrum der meisten massereichen Galaxien bilden. Aus der von Albert Einstein (1879-1955) 1915 publizierten Allgemeinen Relativitätstheorie geht unter anderem hervor, dass die Schwerkraft eines in sich selbst kollabierenden, massereichen Sterns so stark werden kann, dass nicht einmal Licht oder ganz allgemein elektromagnetische Strahlung daraus entweichen kann.
Ein gewöhnliches „stellares“ Schwarzes Loch entsteht aus einem massereichen Stern, der seine Energiequellen erschöpft hat. Sein Kollaps unter dem Einfluss der eigenen Schwerkraft führt zuerst zu einer Supernova-Explosion, bei der grosse Mengen schwerer, durch Kernfusionsreaktionen synthetisierter Elemente in den interstellaren Raum geblasen werden. Der verbleibende Kern des Sterns kann mangels Fusionsbrennstoff keinen Lichtdruck erzeugen; hat er eine genügend grosse Masse, so kollabiert er weiter zu einem Schwarzen Loch in dessen Zentrum sich eine Singularität befindet, das heisst ein Punkt im Prinzip unendlicher Dichte.
Quasare ebnen den Weg
Bei dieser Kontraktion erreicht das Objekt den sogenannten Ereignishorizont, bei welchem Raum und Zeit durch die Schwerkraft so stark gekrümmt werden, dass keine Strahlung nach aussen dringen kann. Was sich innerhalb des Ereignishorizonts abspielt, bleibt grundsätzlich unsichtbar. Im Zentrum eines Schwarzen Lochs entsteht eine sogenannte Singularität mit einer im Prinzip unendlichen Dichte. Dort verschwinden die Raumkoordinaten und auch die Zeit steht still.
Dass Schwarze Löcher kein rein theoretisches Konstrukt sind, ergab sich 1963 mit der Entdeckung der Quasare, der stärksten Quellen von Radiowellen im Universum. Der erste davon, 3C273 im Sternbild Virgo, erwies sich als rund eine Milliarde Lichtjahre von uns entfernt. Später gefundene Quasare sind noch weiter entfernt und entstanden schon relativ kurz nach dem Urknall. Es gab nur eine Möglichkeit, ihre enorme Strahlungsdichte zu erklären: durch Materie, die in ein sehr massereiches Schwarzes Loch fällt; letzteres bildet den Kern einer unserer Milchstrasse gleichenden Galaxie.
Der theoretische Durchbruch zum Beweis der Existenz Schwarzer Löcher gelang dem britischen Physiker und Mathematiker Roger Penrose. Er schuf nämlich 1965 wichtige Ergänzungen zu Einsteins Relativitätstheorie; daraus geht hervor, dass die Existenz von Singularitäten wie Schwarze Löcher unausweichlich ist. In die Nähe eines Schwarzen Lochs geratende Materie und Strahlung müssen gezwungenerweise in dieses einfallen und in der Singularität verschwinden.
Sagittarius A im Rampenlicht
Der (natürlich indirekte) experimentelle Nachweis eines supermassiven Schwarzen Lochs erwies sich als extrem schwierig. Er gelang unabhängig voneinander Andrea Ghez und Reinhard Genzel, den beiden anderen Physik-Nobellaureaten von 2020. Ghez und ihr Team arbeiteten am Keck Observatorium, das sich auf dem 4200 Meter hohen Gipfel des „schlafenden“ Vulkans Mauna Kea auf der Hauptinsel des Hawaii-Archipels befindet. Es verfügt über zwei baugleiche Teleskope, deren Hauptspiegel einen Durchmesser von zehn Metern aufweist und aus je 36 sechseckigen Segmenten aus der Glaskeramik Zerodur besteht.
Ghez und ihr Team begannen ab den 90er Jahren mit der Beobachtung von Sternen und Gaswolken in der Sagittarius A* (abgekürzt Sgr A*) genannten Region im Sternbild Schütze, wo sich das 26’670 Lichtjahre von uns entfernte Zentrum der Milchstrasse befindet. Sgr A* weist eine Masse von mehreren Millionen Sonnenmassen auf. Die Vermutung war naheliegend, dass es sich um ein supermassives Schwarzes Loch handelt.
Ganz ähnliche Ziele verfolgte Reinhard Genzel, Direktor des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik. Er arbeitete zuerst mit dem New Technology Telescope mit 3,85 Meter Hauptspiegel am La Silla Observatorium des European Southern Observatory (ESO) in der chilenischen Atacama-Wüste. Dann wechselte er zum Very Large Telescope (VLT) auf dem Cerro Paranal, ebenfalls im Norden Chiles. Dieses umfasst vier Teleskope mit je einem Hauptspiegel von 8,2 Meter Durchmesser.
Die von Ghez und Genzel geführten Teams beobachteten ab den 90er Jahren während rund dreissig Jahren ein Dutzend Sterne, die das galaktische Zentrum auf engen Bahnen umkreisen. Aufgrund ihrer Orbitalparameter konnte die Masse des Objekts berechnet werden. Sie beträgt 4,1 Millionen Sonnenmassen bei einem Durchmesser von 22,5 Millionen Kilometer. Es kann sich also kaum um etwas anderes handeln als ein supermassives Schwarzes Loch in dessen Zentrum eine Singularität ohne Raum- und Zeitkoordinaten steckt.