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Die Uhren-Rätsel

Was bedeutete eine Uhr für die Kunden des 18. Jahrhunderts? Die Wortspiele und Worträtsel, die in den Zeitschriften der damaligen Zeit erschienen, verraten es uns.

Printmedien sind Teil unseres täglichen Lebens. Wir lesen Zeitungen und Zeitschriften online oder in gedruckter Form, um uns zu informieren, zu lernen oder uns zu unterhalten. Nicht immer ist uns bewusst, dass die Ursprünge der medialen Vermittlung weit in die Vergangenheit zurückreichen. Sie entstand im späten 17. Jahrhundert, erlebte schnell einen enormen Aufschwung und leistete bald einen grossen Beitrag zur Bildung der öffentlichen Meinung.

Bereits vor der Französischen Revolution (1789) stellten Zeitungen einen wichtigen Informationskanal dar, dessen Bedeutung auch die Mitglieder des technischen Bereichs erkannten. Obwohl es keine Fachpublikationen gab, nutzten auch berühmte Uhrmacher wie Julien Leroy, Jean-André Lepaute oder Ferdinand Berthoud Wochenzeitungen oder Anzeigensammlungen als Werbemittel. Diese Meisterhandwerker schrieben Artikel – mit oder ohne Unterschrift –, um ihre Erfindungen und Entdeckungen zu veröffentlichen, und nutzten die Zeitschriften, um die Arbeit ihrer Kollegen zu kritisieren und gleichzeitig auch, um mehr staatliche Unterstützung für die Uhrmacherkunst einzufordern.

Die Uhrmacherei tauchte in Presseerzeugnissen auch in anderer Form auf. Sie findet sich beispielsweise besonders gern in Form von Worträtseln, die Leserinnen und Leser der französischen Zeitungen zu jener Zeit begeisterten. Diese Spiele werden als Rätsel, Logogriphs oder Charaden bezeichnet und sind kurze Gedichte, hinter denen sich ein Wort verbirgt, das es zu identifizieren gilt. Man löste sie in Gruppen oder allein. Diese Rätsel entwickelten sich zu einem weit verbreiteten gesellschaftlichen Phänomen, das von Frankreich aus ganz Europa eroberte, vergleichbar dem heutigen Kreuzworträtsel, Rebus oder Sudoku.

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Eine Uhrenzeitschrift aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, mit der Zeitgleichung (British Museum). Die Vulliamys waren Waadtländer und gehörten zu den berühmtesten Uhrmachern Londons, aber in der Schweiz kennt sie heute niemand mehr.

Die Expansion der Uhrmacherei

Ab den 1750er Jahren gab es immer mehr Rätsel, die mit Mechanik zu tun hatten. Am erfolgreichsten war das Wort Uhr, während es nur sehr wenige Gedichte mit den Wörtern Pendule und Standuhr gab. Die starke Präsenz der Uhr in diesen literarischen Spielen ist ein Beweis für die Expansion des Uhrenmarktes und spiegelt die zunehmende Bedeutung der Uhr in der Gesellschaft wider. Die Begeisterung, die sie hervorruft, betrifft, wie bei den Rätseln, mehr oder weniger alle wohlhabenden Gesellschaftsschichten.

Der Hochzeitskorb, den König Ludwig XV für die Hochzeit des zukünftigen Ludwig XVI mit Marie-Antoinette zusammenstellen liess, enthielt nicht weniger als fünfzig Uhren. Aber auch Angestellte und Bedienstete besassen Uhren: Aus ihren Testamenten und Nachlassverzeichnissen geht hervor, dass diese Menschen trotz ihres geringen Einkommens neue oder gebrauchte goldene Repetieruhren kauften. Die Zeitungsrätsel weisen zudem auf einen weiteren Aspekt hin: Die Uhr ist ein soziales Prestigeobjekt, das eher mit dem Leben in der Stadt als mit den Sitten auf dem Land in Verbindung gebracht wird.

Darüber hinaus enthalten die Rätseltexte viele gesellschaftlich weit verbreitete Vorstellungswelten. Diese Gemeinplätze werden von den Lesern und Leserinnen geteilt, um das in den Versen verborgene Wort zu finden. Die Rätsel in den Zeitungen laden auf spielerische Weise also gleichzeitig dazu ein, mit Humor und Raffinesse in die Vorstellungswelt der Uhr des 18. Jahrhunderts einzutauchen.

Die Texte stellen uns die Uhr zudem als elitären Gegenstand vor, der für die Menschen gleichzeitig in vielfacher Weise bedeutsam war: Zunächst einmal war eine Uhr nützlich, da sie die Zeit anzeigte. Zweitens war sie das Ergebnis des Könnens geschickter Handwerker. Und drittens war die Uhr vor allem auch deshalb sehr wertvoll, weil ihr eine hohe dekorative Funktion zugeschrieben wurde. Sprich, sie wurde in erster Linie als Ornament und Zierde, also wie ein Schmuckstück und weniger als technisches Instrument wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich die Sprachrätsel auch auf die verschiedenen Grössen der Uhr bezogen, um den Wettbewerb zwischen den beiden grossen Uhrentraditionen dieser Zeit zu beschreiben: den englischen Uhren mit ihrem massiven Umfang, der für mehr Stabilität sorgte. Und den französischen mit ihren schlankeren und ästhetischeren Linien.

In diesem Zusammenhang wiesen die Rätsel immer wieder auf die Zerbrechlichkeit dieser Stücke hin, in einer Zeit, in der Uhren häufig runterfielen und zerbrachen. Diese Anfälligkeit betraf sowohl das Gehäuse als auch das Uhrwerk: Schmutz, zu dickes Öl oder Stösse konnten die Zuverlässigkeit und Konstanz des Mechanismus leicht beeinträchtigen. Die Rätsel fordern die Besitzer deshalb auf, ihre Uhren zu pflegen, um ihre Regelmässigkeit zu gewährleisten, und erinnern an einige Regeln für ihre Pflege.

Die Bedeutung der Präzision

Obwohl diese Ideen mit unserer heutigen Vorstellung von der Bedeutung der Uhr übereinstimmen, unterscheidet sich unsere Vorstellung von der des 18. Jahrhunderts bezüglich eines zentralen Begriffs: dem der Genauigkeit, der in den Zeitungsrätseln nie erwähnt wird. Obwohl zur gleichen Zeit bedeutende Innovationen in der Uhrmacherei entwickelt wurden, verlangten die Leser und Leserinnen von der Uhr, dass sie die Zeit anzeigt, wobei es eine geringe Rolle spielte, wie präzise diese war. Die Uhren des Zeitalters der Aufklärung gingen täglich um mehrere Minuten nach oder vor, ohne dass sich ihre Besitzer darüber Gedanken machten. Ausserdem blieben sie auf die wahre Sonnenzeit eingestellt, da sich nur wenige Käufer mit den Berechnungen der Zeitgleichung auskannten.

In der Praxis dauerte es bis ins 19. Jahrhundert, bis sich der technische Aufschwung der Uhrmacherei des 18. Jahrhunderts und die Entwicklungen der Chronometrie auf die Zeitmessung beim breiten Publikum auswirkten und unsere heutigen Ansprüche an die Genauigkeit zu prägen begannen. Zwischen den Zeilen banaler Wortspiele zu lesen, kann sich letztlich auch als Mittel erweisen, einen Sinn für die Relativität der Zeit und ihre Rolle in einer bestimmten Epoche zu gewinnen.

Rossella Baldi

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