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Die Sonnenuhr war der erste Zeitmesser

Die Entwicklung städtischer Hochkulturen mit einer breiten Vielfalt handwerklicher, kommerzieller und schliesslich quasi-industrieller Tätigkeiten machte die Verfügbarkeit von Zeitmarken zur Synchronisierung der nun intensiv wechselwirkenden Menschen unabdingbar. Dazu wurden von China bis Westeuropa Sonnenuhren entwickelt.

Die ältesten uns bekannten Sonnenuhren gehen auf die Sumerer vor rund 5000 Jahren zurück. Sie wurden später von den Babyloniern und schliesslich von den Griechen und Römern übernommen. Im ägyptischen Tal der Könige wurde eine etwa 3500 Jahre alte, vermutlich eigenständig entwickelte Sonnenuhr gefunden. Im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa spielte sie auch nach dem Kommen der nicht sehr genauen Räderuhr eine wichtige Rolle. Zudem ergänzte sie den Schiffschronometer bei der Bestimmung des Längengrades. Die einfachste, sogenannte analemmatische Sonnenuhr besteht aus einem vertikalen, in den Boden gerammten Schattenstab oder Polos. Dazu kommt ein horizontales Zifferblatt mit Zeitmarken. Die Lokalzeit wird anhand der Stellung des Stabschattens bestimmt.

Korrekt angegeben wird bei einem solchen Instrument die Lokalzeit nur, wenn die Zeitmarken auf einer halben Ellipse angeordnet sind, wobei ihre kleine Achse in Nord-Süd-Richtung weist. Man findet solche Sonnenuhren gelegentlich als Attraktion in Parks, wo der als Polos fungierende Besucher auf der kleinen Achse der Ellipse so stehen muss, soass der Schatten seines Kopfes gerade auf die Ellipse fällt.

Die tägliche Umdrehung der Erde um ihre polare Achse von Westen nach Osten nehmen wir als Bahn der Sonne von Osten nach Westen wahr. Im Fall eines horizontalen Zifferblatts auf der Nordhalbkugel wandert der Schatten des Polos im Uhrzeigersinn, bei vertikalem Zifferblatt im Gegenuhrzeigersinn. Der Stabschatten auf einem horizontalen Zifferblatt ist im Sommer wegen des hohen Sonnenstands recht kurz. Nach der Sommersonnenwende wird er bei tiefer werdendem Sonnenstand bis zur Wintersonnenwende immer länger und anschliessend wieder kürzer.

Ungenaue Angaben

Die Sonnenuhr hat den inhärenten Nachteil, die Zeit nur tagsüber und bei Sonnenschein anzuzeigen. Doch blieb sie auch nach der Erfindung der Tageszeit und witterungsunabhängigen Räderuhr im 14. Jahrhundert wichtig. Die neuen Zeitmesser waren nämlich ziemlich ungenau und mussten anhand einer Sonnenuhr so oft wie möglich auf Lokalzeit nachgestellt werden. Selbst nach der Entwicklung des mechanischen Marinechronometers musste man zur Bestimmung des Längengrads die vom Chronometer angezeigte Referenzzeit (z.B. Greenwich-Zeit am Nullmeridian) mit der Lokalzeit vergleichen, die eine Sonnenuhr lieferte.

Vermutlich ist arabischen Astronomen die Erkenntnis zu verdanken, dass es sehr vorteilhaft ist, den Schattenstab einer Sonnenuhr parallel zur Erdachse auszurichten. Jedenfalls erschienen solche Sonnenuhren in Westeuropa erst nach den Kreuzzügen. Auf diese Weise wurde auf dem mit Stundenlinien zwischen Sonnenaufgang und -untergang versehenen Zifferblatt das ganze Jahr hindurch die korrekte Zeit angezeigt. Bohrte man am Ende des Polos ein Loch oder brachte in seiner Mitte einen Schlitz an, so erhielt man eine leuchtende Anzeige auf dem Zifferblatt; sie war genauer als die Abschätzung der Stabschatten-Mitte.

Ausrichtung des Stabs

Eine erdachsenparallele Ausrichtung des hierzulande nach Norden weisenden Schattenstabs erzielt man, wenn man ihn gegenüber der horizontalen Ebene um einen Winkel neigt, der dem Breitengrad der Position entspricht. Der Breitengrad lässt sich relativ einfach aus dem höchsten Sonnenstand am Mittag bestimmen. Alternativ entspricht er auf der Nordhalbkugel der Höhe des hellen und leicht aufzufindenden Polarsterns.

Auf dem Zifferblatt findet man häufig 16 gleich weit voneinander entfernte, vom Fusspunkt des Polos ausgehende, strahlenförmige Stundenlinien, entsprechend der maximal möglichen, 16 Stunden dauernden Tageslänge in Zentraleuropa. Der Schatten der Polos-Spitze durchläuft im Lauf des Tages auf dem Zifferblatt eine hyperbelförmige Bahn; seine Position hängt von der Länge des Polos-Schattens ab und vermittelt Information über den Kalendertag und die Jahreszeit.

Sonnenuhr als Fassadenschmuck

Vertikale Sonnenuhren trifft man heute gelegentlich als Fassadenschmuck. In diesem Fall beträgt der Winkel des Polos zur vertikalen Ebene 90 Grad minus den Breitengrad. In der Schweiz liegt der Breitengrad zwischen 42° 23’, dem südlichsten Punkt (Pedrinate im Kanton Tessin) und 47° 47’, dem nördlichsten Punkt (Oberbargen im Kanton Schaffhausen). An den Polen muss der Schattenstab senkrecht zur Erdoberfläche stehen; am Äquator muss er horizontal liegen, um der Forderung nach Parallelität zur Erdachse zu genügen. In Anbetracht der enormen Distanz zur Sonne ist der Abstand zwischen der Erdachse und dem parallel dazu orientierten Schattenstab einer Sonnenuhr an der Erdoberfläche vernachlässigbar klein.

Bild: Miniaturisierte Tisch-Sonnenuhr, die am Musée International d’Horlogerie in La Chauxde-Fonds gekauft werden kann. Der Durchmesser des Zifferblatts beträgt elf Zentimeter.