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Das quarzgesteuerte Longines-Kaliber

Vor kurzem ist bei einem Sammler in Deutschland ein einzigartiger Prototyp aufgetaucht, dessen Existenz bisher unbekannt war. Es handelt sich um das nie in Serie gegangene, elektromechanische Kaliber L400 von Longines, das von Golay in Lausanne mit einem handverlöteten Quarzwerk kombiniert wurde.

Auch der vermutlich verschlungene Pfad, auf dem die 540 Gramm wiegende Uhr in ihrem massiven Aluminiumgehäuse den Weg von Saint-Imier nach Deutschland fand, lässt sich nicht rekonstruieren. Die komplette Uhr misst 6 x 6 x 2,5 Zentimeter, was ein Volumen von 90 Kubikzentimeter ergibt. Es ist demnach kein Marinechronometer. Ein solcher hätte für den seinerzeit berühmten Concours d’Observatoire in Neuenburg ein Volumen von 200 Kubikzentimeter aufweisen dürfen. Es ist auch keine Taschenuhr, für die maximal 20 Kubikzentimeter zugelassen waren.

Offensichtlich handelte es sich um einen Versuch, die Quarztechnologie von Golay in die seit 1963 bei Longines entwickelten Uhren-Elektromechanik zu integrieren. Bei Letzterer, deren Pioniere die amerikanische Manufaktur Elgin und die französische LIP waren, wurde die weiterhin als Taktgeber fungierende Unruh zu einem kontaktgesteuerten Motor umfunktioniert, der entweder mit kleinen Magneten oder mit einer Spule versehen war. Die Energie zum Antrieb eines solchen Motors lieferte eine Quecksilber-Knopfbatterie. Die umweltfreundlichere Silberoxid-Zinkbatterie gab es damals noch kaum.

Bei dem zur Quarzuhr ergänzten elektromechanischen Kaliber L400 wurde aber mit dem Quarzresonator nicht etwa die Eigenfrequenz der unnötig gewordenen und darum ausgelassenen Unruh generiert, was einer Stabilisierung der Elektromechanik entsprochen hätte. Vielmehr wurde mit einer damals konventionellen, handverlöteten Schaltung von Einzeltransistoren (das heisst ohne Verwendung einer integrierten Schaltung) die Quarzfrequenz von 12 Kilohertz bis auf 2 Hertz dividiert; damit wurde ein Schrittschaltmotor angetrieben.

Die komplette Quarzuhr mit Teilen des L400-Werks.

Ein Kippspulenmotor

Man benötigte demzufolge nur noch den Getriebeteil des L400-Kalibers, um die Zeiger zu bewegen. Es bestand kein offensichtlicher Grund, zu diesem Zweck ausgerechnet ein elektromechanisches Kaliber zu verwenden. Der Motor umfasste eine zwischen den Polen eines Permanentmagneten drehbar angeordnete Spule. Bei jedem 2-Hertz-Impuls der Quarzresonator-Teilerkette kippte sie um etwa 60 Grad. Mit einem daran befestigten Federchen wurde das zentrale Zahnrad weitergeschaltet, das den Rest des Uhrwerks antrieb.

Dieser Schrittschaltmotor ist von besonderem Interesse, denn er ist absolut identisch mit demjenigen, der Jahre später in der 1977 lancierten Oysterquartz von Rolex eingesetzt wurde. Das damalige Elektroniklabor von Rolex hatte der kürzlich verstorbene Ingenieur René Le Coultre (1918-2018) aufgebaut. Es ist naheliegend, dass er den Schrittschaltmotor nicht neu „erfinden“ wollte, sondern auf eine bereits bewährte Konstruktion zurückgriff.

Über den Konstrukteur und den Fabrikanten dieses Kippspulenmotors kann allerdings nur spekuliert werden. Merkwürdig ist jedenfalls, dass weder Golay noch Rolex den im benachbarten Besançon schon 1936 von Marius Lavet (1894-1980) entwickelten, allen anderen Konstruktionen überlegenen Schrittschaltmotor übernommen hatte. Diese Art von Motor wurde 1969 von Seiko und etwas später von der schweizerischen ETA wiederentdeckt und hat sich seither ausnahmslos in allen Quarzwerken für Armbanduhren etabliert.

Bild: Detailansicht des quarzgesteuerten L400-Kalibers von Longines.

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