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Die Schaufenster zur Welt

Die Genfer Messetage rund um die Watches & Wonders versammelten einen Grossteil der Schmuck- und Uhrenbranche. Das Bedürfnis, dort nicht in erster Linie Endkunden zu treffen, sondern vor allem Distributoren und Wiederverkäufer, bleibt auch im Online-Zeitalter für viele Marken wichtig. Aus Sicht der Schmuckmarken bleibt die Trennung der Veranstaltungsorte jedoch unbefriedigend, und auch den Einkäufern ist damit nicht gedient.

Über 300 Uhren- und Schmuckmarken stellten Anfang April während der Genfer Uhrenwoche rund um die Watches & Wonders in der Calvinstadt aus. Diese Hauptveranstaltung mit Sogwirkung versammelte in den Palexpo-Hallen ihrerseits rund 60 Uhrenmarken. Das waren einige mehr als im Vorjahr, aber eine grundlegende Öffnung für mehr Marken ist derzeit nicht in Sicht. Insbesondere die Richemont-Gruppe, unter deren Regie schon die Vorveranstaltung SIHH organisiert worden war, scheint keine Absicht zu haben, am bestehenden Konzept, sprich eine Messe nur für (wenige) Uhrenmarken, etwas ändern zu wollen.

Die Watches & Wonders vermeldeten mit über 55’000 Gästen zwölf Prozent mehr Besucher als im Vorjahr.

Widersprüchliches Konzept

Wobei es ja nicht so ist, dass die Messe gar keine Öffnung erfährt. Neue Marken, eine Handvoll, finden ja durchaus Aufnahme in Genf. In den letzten Jahren hinzugekommen sind beispielsweise Nomos Glashütte, Eberhard & Co., Raymond Weil oder Meistersinger. Wobei es sich in diesem Fall nicht um Marken handelt, die ähnlich selektiv vermarktet werden, wie etwa Cartier und Van Cleef & Arpels. Sondern um Marken, die auf ein funktionierendes Retail-Netz in Form unabhängiger Uhren- und Schmuckfachgeschäfte zählen und darauf angewiesen sind. Notabene alles Juweliere, die nicht nur mit den AAA-Marken arbeiten wollen, geschweige denn können; die in Genf neben Uhren gerne auch Schmuck einkaufen würden; und die entsprechend ein möglichst vielseitiges Schmuckangebot antreffen wollen, neue Marken entdecken sowie bestehende Lieferanten besuchen möchten. All dies verunmöglicht oder erschwert das derzeitige Konzept.

So bleibt der zahlenmässigen Mehrheit der in Genf ausstellenden Uhren- und Schmuckmarken nichts anderes übrig, als an Parallelveranstaltungen auszustellen. Die gewichtigste davon war dieses Jahr die Time to Watches, die mehr als 70 unabhängige Marken in der Villa Sarasin und einem Nebengebäude versammelte, beide einen Steinwurf entfernt vom Haupteingang der Watches & Wonders. Diese neue Nähe zu den Palexpo-Hallen verwandelte die Time to Watches, die in den Vorjahren im Campus Head im Genfer Quartier Charmilles ausgetragen, mit tiefen Besucherzahlen glänzte, in ein Bienenhaus. Die meisten Aussteller zeigten sich mit der Messe entsprechend sehr zufrieden.

Beratung statt Brot und Butter

Viele dieser Uhrenmarken gaben an, durchaus auf der Suche nach neuen Fachhändlern zu sein. Auch im Online-Zeitalter zeigte sich also, dass gerade unabhängige Marken das Bedürfnis verspüren, im Fachhandel gut vertreten und sichtbar zu sein. Das Online-Geschäft ist gerade für Nischenmarken mit dem Problem verbunden, dass sie ohne einen vorherigen physischen Kontakt auf diesem Weg viel zu wenig gekauft werden.

Der erfahrene Uhrenhersteller Francesco Calamai aus Italien, der am Rand der Messe mit seiner Marke Orologi Calamai angetroffen wurde, brachte es auf die simple Formel: „Uhren ab 500 Franken müssen vor dem Kauf probiert werden.“ Wenn das auch für manch grossen Markennahmen vielleicht etwas weniger zutreffen sollte, setzt selbst der Marktführer im mechanischen Bereich, Rolex, beim Vertrieb neuer Uhren voll auf den Offline-Markt. Umso mehr gilt diese Regel für alle andere Marken. Darüber hinaus wird seitens vieler Marken erwähnt, dass der Fachhandel neben der wichtigen Schaufenster- und Präsentationsfunktion auch die wichtigen Verkaufsfaktoren Vertrauen, Beratung, Leidenschaft und Service verkörpert. Ohne diese Eigenschaften haben es Produkte, die der Mensch im Gegensatz zu Brot und Butter (oder veganer Margarine) nicht braucht, generell schwer.

Zum ersten Mal auf der Time to Watches stellte dieses Jahr die Marke Aerowatch aus. Für Geschäftsführer Jean-Sébastien Bolzli ist der klassische Handel nach wie vor die Grundlage des Vertriebs. Darüber hinaus sei auch der Service-après-vente fundamental. Hier müsse es schnell gehen, so Bolzli, der angibt, dass jede Uhr im eigenen Atelier in Saignelégier innerhalb von zwei Wochen nach Annahme der Offertstellung revidiert werde. Mit der diesjährigen Messe zeigte sich Bolzli punkto Zahl und Qualität der Besucher sowie bezüglich Internationalität überaus zufrieden.

Während es auf der einen Seite richtig ist, dass die grossen Uhrenkonzerne und Marken aufgrund ihres Hostings der Juwelier-Gäste keine Lust haben, kleineren Uhrenmarken die Messe mit zu bezahlen, ist das mit Blick auf die Schmuckindustrie, die mit rund 100 in Hotels ausstellenden Marken in Genf vertreten war, nicht ganz gerechtfertigt.

Die Bieler Marke Piccola & Jofrette stellte an der Time to Watches aus; sie setzt zu 100 Prozent auf Swiss made: alle Teile, selbst das Lederband, werden in der Schweiz gefertigt.

Ein namhafter Schmuckhersteller, der an einer Hotel-Messe in Genf mit einem Stand präsent und früher Stammaussteller an der Baselworld war, erinnerte nicht ganz zu Unrecht daran, dass viele Einkäufer und Juweliere an der Watches & Wonders Geld für Uhren ausgeben, das sie unter dem Jahr mit Schmuck verdient hatten.

Eine Zusammenführung der Schmuck- und Uhrenmarken jenseits des Haus- und Hofdenkens der grossen, börsenkotierten Gruppen, wäre nur logisch und ganz im Sinne der Besucher, Einkäufer und Juweliere. Denn diese wissen am besten, welche Art von Schmuck ihre Kundinnen und Kunden gerne tragen. Ein Diktat der grossen Gruppen macht zwar aus deren Augen vordergründig Sinn. Im Sinne händlergeführter Multimarken-Geschäfte jedoch ist es nicht und für wen sonst als für diese Gruppe veranstaltet man in Genf denn diese grosse Messe, die notabene mehr als die Hälfte der Tage nicht einmal für das Endpublikum geöffnet ist. Es wäre also an der Zeit, umzudenken und Mut zu zeigen. Denn nur ein offener, transparenter und möglichst grosser und vielseitiger Markt ist auch ein gesunder und starker Markt.

Marcel Weder

Titelbild: Die Time to Watches fand erstmals in der Villa Sarasin statt, nur einen Steinwurf entfernt von der Watches & Wonders. Bild: Jean-Luc Auboeuf, Time to Watches

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