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Harry Potter als Uhrmacher

Im 18. Jahrhundert entwickelten Schweizer Uhrenfabrikanten raffinierte Tricks, um Fälschungen herzustellen, die vom internationalen Ruf der englischen Uhrmacherei profitierten.

Auch die britische Uhrengeschichte kommt an Harry Potter nicht vorbei. Da Potter ein in England weit verbreiteter Familienname ist, ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass der Fantasy-Held aus der Feder J. K. Rowlings seinen Namen auch mit Landsleuten teilt, die sichtbare Spuren in Grossbritanniens Uhrengeschichte hinterlassen haben. Unter den Mitgliedern der Londoner Uhrmachergilde – der noch heute existierenden Clockmakers Company – wurden zwei Uhrmacher namens Harry Potter junior und senior entdeckt, die wahrscheinlich Vater und Sohn waren und in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lebten.

Dutch forgeries

In den renommierten Sammlungen des MET in New York und des British Museums in London werden beispielsweise Uhren mit Potterschen Signaturen aufbewahrt. Inspiziert man die Uhr mit doppeltem Gehäuse des MET genauer, entdeckt man Interessantes. Das äussere Gehäuse besteht aus getriebenem Gold und zeigt eine mythologische oder religiöse Szene. Das innere Gehäuse ist mit feinen Verzierungen versehen. Das Zifferblatt zeigt eine Stundenskala mit Arkadenverzierung und trägt die Aufschrift „Potter London“, auf dem Uhrwerk steht „Harry Potter / London“. Weiter sind verschiedene englische Punzen zu sehen. Die Uhr ist ein gutes Beispiel für die britische Uhrmacherkunst der damaligen Zeit, für die auch die Potters standen.

In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine Fälschung. Das Objekt gehört zur Kategorie von Uhren, die im Englischen als „Dutch forgeries“ bezeichnet werden, was auf die Arkaden auf dem Emailzifferblatt zurückzuführen ist. Dieser Dekorationsstil wurde im frühen 18. Jahrhundert von den Niederländern übernommen, die Uhren für den britischen Markt herstellten. In Tat und Wahrheit waren es jedoch nicht die Niederländer, die solche Dutch forgeries herstellten. Hauptsächlich wurden diese Uhren nämlich in Genf oder in anderen Schweizer Regionen hergestellt. Sie lassen sich anhand mehrerer Details identifizieren. Insbesondere der Hahn in kontinentaler Form und nicht mit einem Fuss, wie die englischen Hähne, verrät ihre Herkunft. Auch die geringere Qualität der Gravur des Hahns, des Emails und des Triebes spricht für ein Schweizer Fabrikat. Auch das Fehlen des Vornamens des Uhrmachers auf dem Zifferblatt lässt Zweifel aufkommen und weist auf eine unrechtmässige Aneignung des Namens hin.

Die Produktionsdynamik der Dutch forgeries variiert ebenso wie die Netzwerke, die ihren Verkauf garantieren. Im Umlauf sind sie seit Mitte des 18. Jahrhundert, während in Genf oder im Jura Uhrwerke nach englischem Vorbild mindestens seit Anfang des Jahrhunderts hergestellt wurden. Diese wurden jeweils auf unterschiedliche Weise ineinander geschachtelt; wie im Fall der Potter-Uhr konnten sie in Gehäuse mit echten oder gefälschten englischen Punzen eingesetzt werden. Die Imitate britischer Uhren waren dabei zumeist für den niederländischen und nordeuropäischen Markt bestimmt.

 

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Taschenuhr in Gold mit doppeltem Gehäuse mit der Signatur „Harry Potter, London“, letztes Drittel 18. Jahrhundert. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Fälschung, aufgrund der Form des Unruhklobens (Coq).

 

Mister Tarts oder der imaginäre Uhrmacher

Die Dutch forgeries erinnern uns an die Fähigkeit der Schweizer Ateliers und Händler, ihre Produkte an die ausländischen Märkte anzupassen, die zunehmend nach verzierten Uhren aus Gold oder Silber zu wettbewerbsfähigen Preisen verlangten. Genf und Neuenburg profitierten dabei insbesondere von günstigeren Arbeitskräften und geringeren Steuern als in England.

Es wurde auch andere Strategien entwickelt, um von der Bekanntheit der britischen Uhrmacherei zu profitieren. Eine dieser Methoden bestand darin, Namen imaginärer Uhrmacher zu kreieren, anstatt solche bestehender Kreateure zu verwenden. „Tarts London“ oder „Sampson London“ sind dabei die am häufigsten auftauchenden Namen fiktiver Uhrmacher. Für den schwedischen Markt wurde die Signatur „Wallerius i Norrköping“ erfunden. Ebenfalls in Skandinavien findet man mehrere Silberuhren aus dem späten 18. Jahrhundert, die mit „John Ward London“ signiert sind. Dieser Uhrmacher mag tatsächlich existiert haben, wobei viele seiner Stücke die gleiche Seriennummer aufweisen, sodass die Gefahr, dass der Betrug in einem benachbarten Land auffliegt, gering war.

Gefälschte englische Uhren wurden auch in den Provinzen des Vereinigten Königreichs selbst verkauft. In diesem Fall wurden sie mit dem Namen und dem Ort des Einzelhändlers graviert, was sie nicht zu Fälschungen im eigentlichen Sinne machte. Es ist jedoch zu vermuten, dass die Einzelhändler nicht richtig über die genaue Herkunft der Stücke informiert wurden.

Die Buchstaben umdrehen

Es sei aber auch erwähnt, dass nicht nur die Schweizer versuchten, vom Ruf der englischen Uhr zu profitieren. So wurden in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auch in Deutschland Uhren hergestellt, die fälschlich eine Londoner Herkunft beanspruchten, in Wirklichkeit aber aus der Gegend um Friedberg in Bayern stammten. Die Hersteller signierten die Uhren gelegentlich mit ihren eigenen Namen, wie Schreiner oder Eckert. Häufig wurde aber auch mit den Buchstaben des eigenen Familiennamens gespielt. So entstanden skurrile Namen wie Rengaw, Renpuarg, Lekceh oder Legeips, hinter denen sich die Namen Wagner, Graupner, Heckel und Spiegel verbargen. Im 18. Jahrhundert nahm die Kunst der Uhrenfälschung also bisweilen auch überaus humoristische Formen an.

Rossella Baldi

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