Am 8. März hatte Nick Hayek in einem Interview mit der Sonntagszeitung erklärt, dass die Smartwatch, von der Tissot seit Jahren spricht, im Sommer lanciert werden soll. Ob er damit die Auslieferung oder die erstmalige Präsentation gemeint hatte, wurde nicht weiter präzisiert. Nun ist diese Präsentation zur grossen Überraschung bereits zehn Tage später, am 18. März und damit mitten im „Shutdown“ erfolgt.
Die Präsentation erfolgte in der Tat sehr viel früher als erwartet. Anzunehmen ist, dass die Swatch Group ihre erste Smartwatch wohl ohnehin schon diesen Frühling, sicher jedoch vor der Baselworld, die für Ende April geplant war, vorgestellt hätte. Dass die Lancierung nun vorgezogen worden ist, ist beileibe kein Zufall. Die Frage bleibt, ob es besonders weise war, den Zeitpunkt so zu wählen. Andere Marken, etwa Frédérique Constant, haben die Präsentation grosser Neuheiten jedenfalls ganz bewusst abgesagt beziehungsweise verschoben. Dies mit dem Argument, dass aktuell niemand wirklich daran interessiert sei, sich mit Neuheiten zu beschäftigen und diese wertzuschätzen.
Nick Hayek wiederum hält seine Tissot-Neuheit jedenfalls für derart wichtig, dass sie selbst in ausserordentlichen Zeiten Gehör finden soll. Er betonte, dass er mit dieser Lancierung auch ein positives Signal in die Welt setzen wollte, dass die Welt nicht stehen bleibe. So bleibt die Hoffnung, dass diese Hayeks positive Botschaft zu würdigen weiss.
Was kann sie?
Wie Nick Hayek mehrmals betonte, sind in die Entwicklung der neuen Uhr rund 35 Millionen Franken gesteckt worden. Was von der Uhr technisch zu halten ist, muss man sehen. Tatsache ist, dass sie im Vergleich zu Konkurrenzmarken wie Samsung, Garmin, Apple, Suunto oder Citizen (etc.) nicht durch ein entscheidendes „Killerfeature“ auffällt. Im Vergleich zu Apple vermag Tissot immerhin mit der Energieleistung zu punkten: Dank Solarzellen auf dem Zifferblatt soll sie im „Smartbetrieb“ rund ein halbes Jahr ohne Ladung funktionieren und im reinen Uhrenbetrieb sogar zehn Jahre.
Ebenfalls bemerkenswert ist das Betriebssystem. Es ist eine Eigenentwicklung der Swatch Group, die in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Forschungszentrum CSEM mit Sitz in Neuenburg erfolgte. Sie nennt sich „Swalps“ (Swiss Autonomous Low Power System) und ist, anders als bei vielen anderen Produkten, kompatibel mit Apple, Android- und Huawei-Geräten (etwa Harmony). Die Swatch Group behauptet hier sogar, dass die Uhr die erste Smartwatch auf dem Markt sei, die mit sämtlichen grossen Betriebssystemen kompatibel ist. Ob dies zutrifft, ist ebenfalls genauer zu prüfen.
Die Uhr, die mit einem Durchmesser von 47 Millimeter sehr gross ausfällt, hat aber auch einige Mängel. So ist sie aktuell nicht auf „Gesundheitsfeatures“ ausgerichtet, was diesen Bereich betrifft, ist einzig ein Schrittzähler integriert. Der Chef der Swatch-Group-Marke Hamilton, Sylvain Dolla, der an der Entwicklung massgeblich beteiligt war, sagt denn auch, dass man sich ganz bewusst auf die Energieleistung konzentriert habe und der „Wearables“-Bereich mit all seinen Funktionen kein Kerninteresse dargestellt habe.
Und auch Nick Hayek unterstrich in einem Bericht mit der Zeitung „Le Temps“ die Besonderheit der eigenen Strategie: „Natürlich hätten wir verfahren können wie andere auch, die einfach eine Android-Software kaufen. Aber wir wollten lieber einen industriellen Weg wählen und unabhängig bleiben von den grossen Software-Anbietern.“ Bleibt die Frage, ob Hayek mit diesem Ansatz auf lange Sicht erfolgreich bleiben kann. Sollte die Tissot zu einem Verkaufsschlager werden, wäre der erste Schritt ins E-Zeitalter für die Swatch Group jedenfalls getan.
Verkaufsstart für Juni geplant
Der Verkaufspreis des Einsteigermodells soll bei 1000 Franken liegen, weitere Varianten werden preislich höher liegen. Erhältlich sein soll die neue Smart-Kollektion von Tissot ab Juni. Sollte sich die „Shutdown“-Situation in die Länge ziehen, dürfte dieser Zeitpunkt sich wohl nach hinten verschieben. Produziert werden soll die Uhr in den Tissot-Betriebsstätten im Tessin. (mw)